Ab und zu gehe ich schwimmen. Statt abzuschalten, ließ ein kleiner Hinweis am Eingang des Schwimmbades meine Gedanken um ein mögliches Ende der Globalisierung kreisen – und darüber, was das Darmstädter Nordbad mit internationalen Lieferketten verbindet.
Das Nordbad in Darmstadt ist ein Schmuckstück – gerade tipptopp renoviert. Als ich neulich ein paar Bahnen ziehen wollte, fiel mir am Eingang ein Hinweis auf: Das Planschbecken sei wegen fehlender Ersatzteile außer Betrieb. Ich war schwimmen gegangen, um abzuschalten. Daraus wurde nichts. Stattdessen fragte ich mich: So schwer kann das doch nicht sein, ein Ersatzteil für ein Planschbecken zu besorgen? Hat die Nordbad-Führung einfach nur ein wichtiges Ersatzteil zu spät bestellt oder nicht vorgehalten? Oder ist die Lieferfrist ein Hinweis auf eine globale Beschaffungskrise, deren Ausmaße wir noch nicht erahnen? Liegt das Ersatzteil in einem der unzähligen Containerschiffe, die in Shanghai wegen Corona nicht be- oder entladen werden? Mangelt es bald an allem, sodass wir weder unsere Autos noch Häuser fertig bauen können?
Warum habe ich so intensiv auf den Hinweis reagiert? Zwei Stunden vor dem Schwimmbadbesuch hatte uns ein namhaftes deutschen Maschinenbau-Unternehmen angerufen und um die Vermittlung eines strategischen Einkäufers gebeten, weil dem Unternehmen der Nachschub an wichtigen Teilen auszugehen droht. Wir haben mehrere Kandidatinnen und Kandidaten vorgestellt – und ich bin zuversichtlich, dass diese Expertinnen und Experten das Problem dieses Unternehmens lösen werden.
Friendshoring: Ist die Globalisierung wirklich am Ende?
Meine Gedanken aber reichen weiter: Mir scheint, uns steht eine erneute Blockbildung wie im Kalten Krieg bevor. Und der Handelskrieg zwischen China und USA hat die Trump-Administration leider auch überlebt. Da stellt sich die Frage: Wie geht es weiter mit der Globalisierung? Brand Eins, meine heiß geliebte Lieblingslektüre, spricht in der aktuellen Ausgabe von Friendshoring als einem Modell für eine post-globalisierte Ära. Im Friendshoring führen die Beschaffungswege nicht mehr dahin, wo Güter in Preis und Qualität per se verfügbar sind (und wir das beste Geschäft machen), sondern ausschließlich zu Freunden – wie auch immer diese Freundschaft begründet sein mag. Wird der Einkauf also in Zukunft auch ein (geo-)politischer Einkauf? Folgt man dem Artikel in Brand Eins, ist das nicht auszuschließen.
Patrick Bernau von der FAZ zieht in seinem Beitrag für den Deutschlandfunk schon eine erste Bilanz – und warnt vor ernsten Risiken: Sein Kommentar zum Weltwirtschaftsforum in Davos trägt die Überschrift: „Die Entkopplung der Wirtschaft ist leider längst im Gange“.
Wenn nicht jetzt, wann dann: Den Einkauf strategisch aufstellen
Ich weiß nicht, wie sich die Weltwirtschaft entwickeln wird. Niemand kann das mit Sicherheit sagen. Als Interim Service-Provider sehe ich aber bereits jetzt eine verstärkte Nachfrage im Segment Einkauf/Beschaffung. Dabei geht es einerseits um die Bewältigung von kurzfristigen Lieferengpässen. Glücklicherweise verstärken aber mehr und mehr Unternehmen das Nachdenken über die Belastbarkeit ihrer Lieferketten und über den Einkauf. Ich denke, die aktuelle Krise macht deutlich, dass kein Weg an einem strategisch optimierten Einkauf vorbeiführt: strategisch fürs Geschäft – strategisch fürs Überleben. Denn anders als im Planschbecken des Nordbads können Lieferausfälle für unsere Kunden und die deutsche Wirtschaft zur Existenzfrage werden. Liebe Einkäuferinnen und Einkäufer: Auf Euch warten große Aufgaben!