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„Nicht abwarten, sondern gleich mit ESG pragmatisch starten“

von Franziska Pleßke am
Karolin Rohmer im Interview: Wie KMU pragmatisch mit ESG beginnen.

ESG-Kriterien und Nachhaltigkeitsberichte werden für Unternehmen immer relevanter – so auch für kleine und mittlere Unternehmen. In den Medien oft als bürokratischer Albtraum betitelt, scheuen sich viele Firmen davor, den Themenkomplex rund um Nachhaltigkeit anzugehen. Doch ist das alles wirklich so kompliziert? Unsere Redakteurin Franziska Plesske hat bei Karolin Rohmer, ESG-Expertin und Interim Managerin für nachhaltiges Produkt- und Innovationsmanagement, nachgefragt. Im Experteninterview verrät sie, wie KMU den Regulatorik-Dschungel durchblicken, wie sie mit ESG pragmatisch starten und welche Wettbewerbsvorteile sich daraus ergeben.

 

Frau Rohmer, wenn man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigt, stösst man schnell auf Abkürzungen wie GRI, ESG und CSRD. Können Sie Licht in diesen Abkürzungsdschungel bringen und kurz erklären, was es mit diesen Begriffen auf sich hat?

Karolin Rohmer: Das Thema Nachhaltigkeit hat bereits vor mehreren Jahrzehnten in der öffentlichen Wahrnehmung Fuss gefasst. Die Initialzündung bildete 1997 die „Global Reporting Initiative“ (GRI), die mittlerweile ein gängiger Standard ist. In den Folgejahren ist dann eher wenig passiert. Erst in jüngerer Zeit, seit etwa zehn Jahren, dreht sich das Rad wieder schneller. Aktuell hat man das Gefühl, die Dinge und insbesondere die Abkürzungen in Sachen Nachhaltigkeit überschlagen sich. Hervorzuheben sind vor allem die viel zu lesenden drei Buchstaben ESG, die für „Environmental, Social & Governance“, auf Deutsch „Umwelt, Soziales und Unternehmensführung“ stehen – also für ein umfassend nachhaltiges, unternehmerisches Wirtschaften.

Die gesamte ESG-Regulatorik lässt sich in vier Bereiche untergliedern. Der erste sind die globalen Ziele und Prinzipien, die Unternehmen einen Ansatz bieten, eigene Nachhaltigkeitsziele zu definieren und umzusetzen. Darauf aufbauend gibt es Orientierungshilfen für Nachhaltigkeitsberichterstattung, etwa den bereits erwähnten GRI-Standard. Dazu gesellt sich der dritte Bereich, nämlich Verordnungen wie das „Corporate Social Reporting Directive“ (CSRD). Die CSRD verpflichtet bestimmte Unternehmen dazu, über Nachhaltigkeit zu berichten. Und dann gibt es noch die ESG-Ratings, -Indizes und -Zertifikate, die es Verbraucher:innen, Kund:innen und Finanziers erleichtern sollen, Unternehmen als nachhaltig einzuordnen.
 

Warum wird das Thema Nachhaltigkeit, insbesondere mit Blick auf ESG, für Unternehmen immer relevanter? Und für welche Unternehmen ist es besonders wichtig?

KR: Dass Nachhaltigkeit und ESG zunehmend an Bedeutung gewinnen, ist auf eine Kombination aus regulatorischem Druck, Marktanforderungen, Investorenpräferenzen, Risikomanagement und Reputationspflege zurückzuführen. Besonders relevant ist das Thema für Grossunternehmen, ressourcenintensive Branchen, Finanzdienstleister sowie Konsumgüter- und Technologieunternehmen. Auch für KMU, etwa im Hinblick auf internationale Geschäftsbeziehungen, spielt es eine wichtige Rolle.

Hinzu kommt, dass seit 2021 nicht mehr nur kapitalmarktorientierte Unternehmen hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit berichtspflichtig sind, sondern alle grossen Unternehmen, auf die zwei der drei folgenden Kriterien zutreffen: eine Bilanzsumme über 25 Millionen Euro, ein Nettoumsatz höher als 50 Millionen Euro sowie mehr als 500 Mitarbeitende. Mit der nun neuen „Corporate Sustainability Reporting Directive“ verpflichtet die EU zukünftig weitaus mehr Unternehmen als bisher dazu, Nachhaltigkeitsberichte zu erstellen. Ab Januar 2026 kommen kleine und mittlere Unternehmen dazu, die bereits ab zehn Mitarbeitenden berichtspflichtig sind, sofern eine Kapitalmarktorientierung vorliegt.
 

Sie haben es schon angedeutet, dass ESG-konforme Unternehmen jetzt und in Zukunft Wettbewerbsvorteile haben. Welche sind das?

KR: ESG-konforme Unternehmen haben gleich mehrere potenzielle Wettbewerbsvorteile. Sieben möchte ich beispielhaft nennen:

  1. Risikominderung: Unternehmen, die ESG für sich implementiert haben, sind unter anderem besser vor Umweltunfällen und damit verbundenen Imageschäden geschützt.
  2. Kosteneinsparung: Sie profitieren von Ressourceneffizienz und zuverlässigen Lieferketten.
  3. Reputation: Aufgrund ihres umweltfreundlichen Markenimages nimmt die Öffentlichkeit ESG-konforme Unternehmen positiver wahr, was zu einer stärkeren Kundenbindung führt.
  4. Leichterer Zugang zu Kapital: Immer mehr Finanziers legen Wert auf nachhaltige Investitionen, wie ESG-orientiere Fonds und Green-Bonds-Anleihen.
  5. Regulatorische Vorteile: Wenden Unternehmen bereits ESG-Praktiken an, sind sie besser auf zukünftige regulatorische Änderungen vorbereitet und vermeiden so mögliche Sanktionen.
  6. Mitarbeiterbindung und -zufriedenheit: ESG-konforme Unternehmen investieren in faire und sichere Arbeitsbedingungen, was mit einer höheren Produktivität, einer geringeren Mitarbeiterfluktuation sowie sinkenden Recruiting-Kosten einhergeht.
  7. Innovationskraft: Unternehmen, die auf ESG-Praktiken setzen, suchen nach neuen Wegen, um neuartige Dienstleistungen und Produkte zu entwickeln, welche auf die steigende Nachfrage nach grünen Lösungen reagieren.

Das und mehr macht ESG-konforme Unternehmen langfristig stabiler und erfolgreicher am Markt.

 

Aller Anfang ist bekanntlich schwer: Wie können KMU mit dem Thema Nachhaltigkeit starten? Was sind die ersten Schritte, die sie in Angriff nehmen sollten? Und welche Massnahmen müssen sie langfristig implementieren?

KR: Zunächst einmal sollten Unternehmen ein Bewusstsein dafür schaffen und ihr Engagement für nachhaltiges Wirtschaften sichern. Damit sie im dichten Regulatorik-Dschungel nicht den Durchblick verlieren, rate ich Unternehmen, sich auf die für sie relevanten Verordnungen zu fokussieren. So laufen sie nicht Gefahr, alles doppelt und dreifach zu berichten. Hierfür empfiehlt es sich, mit einer Bestandsaufnahme zu starten. Der nächste Schritt besteht in der doppelten Wesentlichkeitsanalyse, die Unternehmen idealerweise nicht allein am Schreibtisch, sondern im Austausch mit internen und externen Stakeholdern erarbeiten, etwa in Form von Experteninterviews oder kleinen Workshops.

Im Gegensatz zu weitverbreiteten Annahmen sind Unternehmen völlig frei darin, sich aus den 17 „Social Development Goals der Vereinten Nationen“ (SDGs) wenige – aber dafür firmenspezifisch relevante – herauszupicken, die zu ihrer Unternehmensstrategie passen oder in deren Bereich sie bereits erfolgreich sind. Daraus gilt es, Gaps zu ermitteln. Diese ergeben sich in der Regel aus bereits vorhandenen Datenquellen. Das hilft Unternehmen ungemein, Unwesentliches herauszufiltern und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Darauf aufbauend definiert man eine Datenlogik, aus der sich die ESG-Berichterstattung ergibt.

 

Wie können Interim Manager:innen KMU in Sachen Nachhaltigkeit und ESG unter die Arme greifen? Wie machen sie das Leben für Unternehmen effektiv leichter?

KR: Während grosse Unternehmen seit geraumer Zeit ganze Nachhaltigkeitsabteilungen aufgebaut haben, ist dies für KMU nur schwer machbar. Denn häufig fehlen Expertise und Ressourcen in der eigenen Belegschaft, die es aber braucht, um mit den sich schnell ändernden Anforderungen Schritt zu halten. Zugleich haben sich grosse Beratungsunternehmen auf den Bedarf von kleinen und mittleren Unternehmen hinsichtlich Nachhaltigkeit eingestellt. Jedoch stehen Aufwand und Kosten für KMU oft in keinem Verhältnis zueinander, und eine solche Beratung ist insgesamt nicht erschwinglich. Auch pochen Beratungsfirmen auf die Notwendigkeit einer speziellen ESG-Software, die ebenso mit hohen Kosten einhergeht und zudem mit sinnvollen Daten gefüttert werden möchten.

So kommt es, dass KMU die ESG-Berichterstattung unnötig lange vor sich herschieben, anstatt sich dem Thema schnell und unbürokratisch anzunehmen. Hier können Interim Managerinnen und Manager ihre Stärken ausspielen. Sie sind die ideale Unterstützung, um die komplexen Anforderungen im Bereich Nachhaltigkeit pragmatisch anzugehen und erfolgreich zu bewältigen. Häufig sind nämlich schon zahlreiche Datenquellen im Unternehmen vorhanden, welche die Basis für einen Nachhaltigkeitsbericht schaffen. Beispielsweise lassen sich aus Personallisten Aussagen zu Diversität, Fluktuationsraten, geschlechtsspezifischen Gehaltsverhältnissen etc. ableiten, die massgeblich auf die ESG-Säule „Soziales“ einzahlen. Mit ihren umfassenden Nachhaltigkeitserfahrungen aus diversen Branchen können Interim Managerinnen und Manager – ähnlich wie Steuerberater:innen oder andere externe Spezialist:innen – kleine und mittlere Unternehmen zügig dabei unterstützen, ihre nachhaltigen ESG-Ziele zu evaluieren, zu definieren und natürlich auch zu erreichen.

 

Das klingt einfacher als gedacht. In den Medien werden Nachhaltigkeitsberichte gerne als teure und sinnlose Pflicht betitelt, die einem bürokratischen Albtraum gleichen. Was sagen Sie dazu?

KR: Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Nachhaltigkeitsberichte oft als aufwendig und kostspielig wahrgenommen werden. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Ihre Erstellung beansprucht natürlich Ressourcen. Aber die Vorteile überwiegen den anfänglichen Aufwand. Denn Nachhaltigkeitsberichte zahlen nicht nur auf die Transparenz und das Vertrauen gegenüber Kund:innen, Investor:innen, Mitarbeitenden und der breiten Öffentlichkeit ein. Mit Blick auf Compliance und Risikomanagement sind Unternehmen zudem besser auf ESG-Herausforderungen und die damit verbundenen Risiken vorbereitet. Darüber hinaus stärken Firmen ihre eigene Innovationskraft, indem sie neue Geschäftsfelder im Bereich Nachhaltigkeit bespielen. Im besten Fall entwickelt sich ein Unternehmen sogar zum Innovationsführer. Durch eine effiziente und strategische Herangehensweise, die Interim Manager:innen mittels geeigneter Tools und Ressourcen begleiten, können Unternehmen den Wert ihrer Nachhaltigkeitsberichte maximieren und einen positiven Einfluss auf ihre Geschäftsstrategie sowie Umweltleistung erzielen.

 

Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung rund um Nachhaltigkeit in Unternehmen? Ist es nur ein kurzer aufblitzender Trend oder wird der ganze Themenkomplex weiter an Fahrt aufnehmen?

KR: Nachhaltigkeit wird zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensstrategie und -führung. Da sind zum einen die regulatorischen Entwicklungen, die sich zunehmend verschärfen werden, um den Klimawandel entgegenwirken und die EU-weiten Klimaziele erreichen zu können. Diese führen unweigerlich zu einer höheren Transparenz und Rechenschaftspflicht der wesentlichen – auch kleinen und mittleren – Industrieunternehmen Europas. Zum anderen steigt der Druck auf die Firmen vonseiten ihrer eigenen Kundschaft, Mitarbeitenden und Investor:innen hin zu einer langfristigen Wertschöpfung.

 

Gibt es abschliessend noch etwas, das Sie Unternehmen mit auf den Weg geben möchten, die sich gerade mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen?

KR: Eins ist sicher: Unternehmen, die Nachhaltigkeit umfassend in ihre Geschäftsmodelle integrieren, werden langfristig erfolgreich sein und einen positiven Beitrag zu Gesellschaft und Umwelt leisten. Mit Blick auf die Vorteile kann ich kleinen und mittleren Unternehmen nur raten, besser heute als morgen mit ESG ernsthaft zu starten – getreu Mahatma Gandhi: „Unsere Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun.“

Frau Rohmer, vielen Dank für Ihre umfangreichen Insights und zahlreichen Tipps!


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